Mythos und Legende
Über die Nonne Ng Mui vom Shaolin-Kloster zur schönen Yim Ving Tsun
Nach dem gewaltsamen Fall der Han-Ming-Dynastie übernahmen die siegreichen Mandschu das Reich und begründeten die Ching-Dynastie. Ungerechtigkeiten und Unterdrückung seitens der Herrschenden waren an der Tagesordnung und so war es nicht verwunderlich, daß bald überall im Lande verschiedenste Rebellengruppen und Freiheitskämpfer aktiv wurden. Das berühmte Shaolin-Kloster gehörte zu den Unterstützern dieser Gruppen und so war es nur eine Frage der Zeit, bis dieser Konflikt eskalierte. Zum großen Finale kam es in der 2.Hälfte des 17. Jahrhunderts, als letztlich die Mandschu-Soldaten mit Hilfe von verräterischen Mönchen in das Shaolin-Kloster eindringen und dieses zerstören konnten. Einigen wenigen Klosterinsassen gelang die Flucht, darunter die sogenannten 5 Ältesten und der einzigsten Nonne Ng Mui, während der Großteil der Mönche und Novizen brutal hingemetzelt wurde. Die Geflüchteten verteilten sich weitläufig im Land, um so der Habhaftwerdung durch die Regierenden zu entgehen und begannen neue Kampftechniken zu entwickeln, philosophische Schulen und politische Gruppen zu gründen. Ng Mui war gerade in Bezug auf den ersten Punkt keine Ausnahme und laut der Legende soll der Stil, den sie dann später der jungen Frau Yim Ving Tsun gelehrt haben soll, eines ihrer, bzw. das Meisterstück ihrer Entwicklungen gewesen sein. Strategisch und konzeptionell basierend auf Mobilität und Flexbilität und nicht wie zumeist üblich auf an ein mehr an Kraft. Das besagtes Konzept überhaupt an jemanden weitergegeben wurde, scheint mehr eine glückliche Fügung des Schicksals als Absicht gewesen zu sein: Ng Mui, versteckt, meditierend und forschend in der Einsamkeit, trifft nur durch Zufall beim Lebensmitteleinkauf auf dem Markt die junge schöne Yim Ving Tsun und muß Zeugin werden, wie diese als schwächliche, hübsche Frau drangsaliert und genötigt wird. Kann sie aufgrund ihres Asyls nicht selber eingreifen, so ist es doch der unbeugsame Sinn und Wille nach Gerechtigkeit, der die Nonne dazu bringt Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und so Yim Ving Tsun in die Geheimnisse ihrer neusten Kampfkunst einzuweisen. Und natürlich schafft es Yim Ving Tsun dann später, ihre Peiniger zu besiegen…
Von Opern-Leute der roten Dschunke hin zu Fatshan
Leung Yee Tai, Wong Wah Bo, Leung Jan und seine Schüler
Zwar gibt es die oben genannten alte Sagen und Legenden über die Entstehung des Stils, verläßlich sind diese Geschichten allerdings kaum und sind wohl mehr mit dem Verlangen der Fan-Gemeinde nach einem passenden Helden-Epos zu erklären. Die ersten verlässlicheren Geschichtsangaben findet man ca. vor 200 Jahren mit dem Auftauchen des Königs des Kung Fu Dr.Leung Yan aus Fatshan, welcher von Mitgliedern der Roten Dschunke-Theatergruppe, namentlich von Leung Yee Tai und Wong Wah Bo, unterrichtet wurde. Seinerzeit aufgrund der besonderen Effektivität und der Kompliziertheit des Unterrichtens weitergegeben als sogenannter Geheimstil, gab es nur eine Handvoll Unterrichteter, die den Fortbestand des Stils gewährleisten konnten. Zwei Namen sollten da in der Zukunft eine besondere Rolle als die Lehrer des Meisters der Moderne haben (Yip Man oder wie es heute geschreieben wird – Ip Man). Diese Namen sind Chan Wah Shun (Chan der Geldwechsler) oder wie er sonst aufgrund seiner Statur und seinens Temperaments genannt wurde – Chau Shin Wah (Wah der Bulle) und der mehr Intellektuelle Leung Bik, der ältere Sohn des König des Kung Fu Leung Yan.
Von Fatshan nach Hong Kong
Yip Man (Ip Man) – Wong Shun Leung – Bruce Lee
Die zentralen Figuren, die das Ving Tsun aus der Dunkelheit nicht jedem zugänglicher Schulen ins Licht der Öffentlichkeit brachten, waren Yip Man (heute IP Man geschrieben, zuletzt in der gleichnamigen Film-Reihe zu sehen), Wong Shun Leung (der herausragendste Kämpfer des Stils) und nicht zuletzt Bruce Lee, die wohl den meisten bekannte Film- und Kampfkunstlegende.
Mit Yip Mans (Ip Man) Flucht aus Fatshan gelangte Ving Tsun erstmals an einer Hotspot internationaler Aktivitäten. So war es nur eine Frage der Zeit, bis aus Hong Kong, seinerzeit Dreh- und Angelpunkt Südostasiens, es der Stil auch in den Rest der Welt schaffte. Ursprünglich hatte Yip Man (Ip Man) nicht mit der Absicht, Ving Tsun zu unterrichten, seine soziale Not, war er doch als Flüchtling mittellos, zwang ihn dann aber doch Schüler anzunehmen und durch das Lehren seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Bevor er dies erfolgreich machen konnte, galt es den Stil aber erstmal in der Kampfkunstszene Hong Kongs zu etablieren und dies war in dieser Zeit nur durch gewonne Duellkämpfe zu ereichen. Die Person, die genau dieses schaffen konnte und auch tat, war der junge Wong Shun Leung, der später in die Geschichte als Gong Sao Wong, was übersetzt soviel wie ‘König der Herausfoderer’ oder ‘König der sprechenden Hände’ heißt, eingegangen ist. Den größten Einfluß in Bezug auf die internationale Entwicklung des Stils hatte aber wohl zweifelsohne die Eastern-Filmikone Bruce Lee, der durch seine spektakulären Kampfkunstfilmszenen und Vorführungen weltweit das Interesse an seiner Person und so auch an seiner persönlichen Kampfkunstgeschichte erweckte und an dieser hatte das Ving Tsun, Yip Man (Ip Man) und insbesondere Wong Shun Leung, eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle.
Wing Chun – Ving Tsun – der Stil heutzutage
Von Hong Kong den Rest der Welt…
Nachdem die ‘Globalisierung’ erstmal eingeleitet war, ging im Anschluß alles recht schnell. Die führende Rolle dabei spielte ein später Schüler Yip Mans (Ip Man) mit dem Namen Leung Ting, der es schaffte sich anhand von Demonstrationen einen Namen zu machen. Zusammen mit dem Deutschen K.Kernspecht machte man den Stil, seine Variante schrieb sich nun Wing Tsun (WT) anstelle des herkömmlichen Ving Tsun (Wing Chun), durch geschicktes Marketing zu einem internationalen Kassenschlager. Inhaltlich (Kampfstrategie, Funktion und Ausführung der einzelnen stilistischen Elemente), sowie didaktisch und organisatorisch entfernte man sich aber deutlich vom traditionellen Unterrichtsstil des Yip Man (Ip Man). In den Achtzigern kamen dann in Europa erstmals Zweifel bezüglich der immer für sich proklamierten einzigartigen Originalität des Wing Tsun und der damit verbundenen Unterrichts- und Organisationsstruktur auf und so machte sich erstmals jemand auf, um selbst die Wahrheit im Herkunftsland des Ving Tsun erkunden. Der Name dieses jungen Mannes war Philipp Bayer und so kam es, daß dieser am Ende einer Odysee den Lehrer finden sollte, der er schon so lange gesucht hatte und dieser war Wong Shun Leung. In der Folgezeit kam es zu intensivem Austausch, Lernens und Trainings und so erreichte schließlich die wirklich kämpferische, bis ins letzte Detail ausgeklügelte Art des Ving Tsun Deutschland und Europa. In den Neunzigern kam es dann zu teilweise tatsächlich unerfreulichen Zwischenfällen zwischen den beiden *ing*un-Richtungen, die zu der Zeit fast rein aus dem Wing Tsun der Leung Ting / Kernspecht-Richtung (EWTO) und der dem Ving Tsun der Wong Shun Leung / Ph.Bayer-Richtung (VTKFAE) bestanden. In den letzten Jahren kam es aber zu einer immer größeren Kommerzialisierung und Aufsplittung der Szene, so daß Vergleichsquerelen früherer Jahre eher selten geworden sind.
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